Die Liebe zu Unternehmensbonds ist ein Problem | NZZ (2024)

Die Märkte für Unternehmensanleihen haben an Liquidität eingebüsst. Dass immer mehr Anleger in diesem Bereich Fonds und ETF kaufen, vergrössert die Problematik.

Claudia Gabriel

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Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Absichten. Dieses angelsächsische Sprichwort droht sich derzeit wieder einmal zu bewahrheiten. Die Märkte für Unternehmensobligationen leiden an einer Nebenwirkung der neuen Bankenregulierungen. In der Finanzkrise von 2007/08 hatten etliche Investmentbanken bekanntlich im Bereich Festverzinsliche übermässig viele Schrottpapiere auf ihre Bilanzen geladen. Diese stammten meist aus Kredit-Verbriefungsgeschäften, welche die Banken unbedingt tätigen wollten, obwohl sie nicht für alle Tranchen der Verbriefungen Käufer fanden. Der Regulator hat die Banken seither dazu verknurrt, Bestände von Festverzinslichen auf ihren Bilanzen mit mehr Eigenkapital zu unterlegen. Also wurden diese Bestände reduziert – nicht nur wie gewünscht zulasten des Verbriefungsgeschäfts, sondern auch zulasten des unbescholtenen Handels mit Obligationen von Unternehmensschuldnern.

Bisher stets ein Käufermarkt

Dort dienten bis zur Krise die Handelsbücher der Investmentbanken als Puffer: Konnte für eine Obligation nicht sofort zu einem adäquaten Preis ein Käufer gefunden werden, sprangen die Investmentbanken mit ihren Handelsbüchern in die Bresche. Diese Bestände haben sich jedoch seit 2007 um ein Mehrfaches verkleinert und liegen wieder ungefähr auf dem Stand von 2003. Das ist auch am Schweizer Markt handfest zu spüren: Obligationenspezialist Maurizio Pedrini von der Zürcher Kantonalbank sagte kürzlich an der Messe Finanz '16, dass früher Unternehmensobligationen-Pakete im Wert von 30 bis 50 Mio. Fr. gut handelbar gewesen seien. Heute jedoch seien nur noch kleinere Pakete problemlos abzusetzen. Und dies gilt, obwohl die Nachfrage nach Unternehmensanleihen seit der Finanzkrise allgemein gut gewesen ist. Eine richtige Verkaufswelle hat der Markt seither noch nicht erlebt.

Der Markt benötige heute jedoch grundsätzlich mehr und nicht weniger Liquidität. Denn die Unternehmen wollten in den vergangenen Jahren von den tiefen Zinsen profitieren und sich gegenüber den Banken verselbständigen. In der Folge legten sie mehr Obligationen auf – selbst wenn ihre Bilanzen nicht über allen Zweifel erhaben waren. Die Anleger wollen den ultratiefen Zinsen auf den Staatsanleihen ausweichen und kaufen darum mehr Unternehmensanleihen. Ein Portfolio an Unternehmensanleihen zu managen , ist jedoch sehr anspruchsvoll. Denn es muss nicht nur jeder Schuldner auf Herz und Nieren geprüft werden. Jede einzelne Obligationen-Emission weist zusätzlich andere Charakteristika auf. Die einzelnen Papiere müssen also je separat analysiert werden, und daraus wird dann ein adäquates Portfolio zusammengestellt.

Fonds und ETF beliebt

Das können auch viele Grossanleger nicht mehr selber stemmen. Sie kaufen darum vermehrt Anlagefonds oder Exchange-Traded Funds (ETF) . Das in Unternehmensanleihen-Fonds investierte Kapital hat sich weltweit seit 1995 fast verzehnfacht. In Unternehmensanleihen-ETF ist heute etwa gleich viel Kapital investiert wie 1995 in entsprechende Fonds. Das ist insofern ein Problem, als die Anleger aus Fonds ihr Kapital einmal täglich abziehen dürfen und aus ETF sogar jederzeit. Die Obligationen sind aber möglicherweise nicht so schnell handelbar.

Privatanleger und Versicherer wollten Obligationen ursprünglich häufig nicht halten, um von einem steigenden Marktwert zu profitieren. Sie wollten einen regelmässigen Zinsertrag beziehen und wissen, wann sie ihr investiertes Kapital zurückerhalten. Ist eine Obligation im Sekundärmarkt schlecht verkäuflich oder taucht der Verkaufswert vorübergehend, braucht das solche Anleger häufig nur wenig zu kümmern. Ein Engagement in Obligationen-Fonds und -ETF zwingt die Anleger demgegenüber zu einer anderen Philosophie: Der Wert der Anteile entwickelt sich mit dem Kurswert der Obligationen, in die der Fonds oder ETF investiert hat. Sinkt dieser, verbuchen die Anleger Kursverluste. Ziehen sich die Investoren deswegen zurück, kann es zu einem Herden-Effekt kommen: Die Fonds und ETF müssen möglicherweise diejenigen Papiere verkaufen, die überhaupt schnell verkäuflich sind. Das sind häufig die attraktivsten. Wer also als Anleger länger ausharrt, könnte im schlimmsten Fall am Ende Teilhaber an einem unattraktiven Portfolio sein.

Obligationenfonds, die aktiv investieren, können solchen Problemen entgegenwirken. Die meisten verfügen über entsprechende Notfallpläne. Sie haben seit dem vergangenen Jahr ihre Bargeld-Bestände massiv aufgestockt. Laut Gerüchten sollen einige sogar Notfall-Kreditlinien eingerichtet haben. Sie halten auch häufig liquide Derivate sowie bewusst einige Papiere mit kurzen Restlaufzeiten und einige mutmasslich jederzeit leicht verkäufliche Papiere. Viele versuchen, mit ihren grossen Investoren Kontakt zu halten, um über deren Befindlichkeit und Absichten orientiert zu sein. Neuerdings kommen auch immer mehr Fonds auf den Markt, welche ihre Anleihen grundsätzlich bis zum Verfall halten und somit der alten Idee von Obligationen-Investments wieder näher kommen.

Auf die grosse Verkaufswelle am Markt, die erfahrungsgemäss irgendwann einmal kommen wird, freut sich allerdings niemand. Im Extremfall müssten dann Fonds geschlossen werden. Das heisst, die Rücknahme von Anteilen müsste ausgesetzt werden, bis sich der Markt genügend beruhigt hätte, damit für die Papiere einigermassen realistische Preise gelöst werden könnten. Einen solchen Schritt versuchen Fondsgesellschaften wenn irgend möglich zu vermeiden, weil er die Anleger noch mehr verschreckt. Denn es ist schwierig, die Rücknahme der Fondsanteile auf geordnete Weise wieder aufzunehmen, so dass alle Investoren fair behandelt werden.

ETF als Problem

Das noch grössere Problem sind und haben jedoch die ETF. Sie können sich keine Puffer verschaffen, denn sie müssen stets voll und strikte in diejenigen Papiere investieren, die in einem Marktindex enthalten sind, und zwar im gleichen Verhältnis, in dem sie im Index gewichtet sind. Die ETF-Anbieter können höchstens gewisse besonders illiquide Marktsegmente oder Indizes vermeiden. Nicht alle Anbieter sind dabei jedoch gleich konsequent. Viele Marktteilnehmer betrachten die jüngst massiven Kapitalzuflüsse in diese ETF mit Besorgnis. Sorgen bereiten ihnen dabei nicht nur deren Investoren, sondern vor allem auch die Märkte, falls diese ETF in einer Marktpanik ihre Obligationen-Bestände rasch teilliquidieren müssten.

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Author: Clemencia Bogisich Ret

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