Bitcoin: Der Anfang vom Ende? (2024)

Der Ausverkauf am Krypto-Markt nimmt auch wegen des Absturzes des Stablecoins Terra ein dramatisches Ausmass an. Ist die Branche als Ganzes gefährdet? Experten nehmen Stellung.

Werner Grundlehner

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Die Kryptowährungen sind im Sinkflug. Sie bewegen sich seit Monaten wie zyklische Titel aus dem Tech-Sektor. Die Motivation der Investoren war auch oft die gleiche: die Aussicht auf schnelle Gewinne. Mit der jüngsten Wertkorrektur hat sich das Argument, der Bitcoin sei ein Inflationsschutz und das neue «digitale Gold», vorerst in Luft aufgelöst. «Seit Anfang Jahr zeigt der Krypto-Markt eine hohe Korrelation zum Aktienmarkt», sagt Patrick Heusser, CEO von Crypto Finance. Auch hier hätten eine hohe Inflation und die Aussicht auf stark steigende Zinsen die Investoren verunsichert. In den vergangenen Tagen ist jedoch noch die Unsicherheit um ein Stablecoin-Ökosystem hinzugekommen.

Zwei Jahre ausradiert

Notierung des Bitcoin in Dollar

Quelle: Bloomberg

NZZ / gru.

In der Krypto-Branche zeigt sich derzeit mit dem Terra-Stablecoin ein Lehman-Brothers-Moment. Im September 2008 ging die US-Investmentbank Konkurs, weil ihr keine Gegenpartei mehr Geld auslieh. Niemand konnte mehr einschätzen, wie hoch das Risiko von Lehman im US-Immobilienmarkt war. Während des Immobilienbooms in den USA bündelten die Banken ihre Hypothekarverpflichtungen in CDO, collateralized debt obligations. Die komplexen Produkte wurden von den Rating-Agenturen meist mit der Höchstnote versehen, obwohl sie Hypotheken mit guter und solche mit schlechter Bonität umfassten. Als der Markt nervös wurde und die Investoren den CDO zu misstrauen begannen, wurde der Markt illiquid und brach zusammen. Niemand wusste, wie weit «schlechte» Hypotheken weltweit gestreut waren. Das führte zur Finanzkrise.

Vermeintlich sicher, dank Arbitrage

Die «faulen Eier» in der Krypto-Branche sind die vermeintlich solidesten Coins – die Stablecoins. Diese Kryptowährungen weisen einen sogenannten Peg auf und nehmen für sich in Anspruch, den Dollar eins zu eins abzubilden. Zu diesem Zweck wird jeder emittierte Coin mit einem Gegenwert von einem Dollar hinterlegt. Das Terra-Ökosystem wählte jedoch eine dynamische, algorithmische Absicherung.

Doch diese algorithmische Absicherung entpuppt sich als Schönwetterkonzept und bricht momentan völlig auseinander. Der Terra-Stablecoin UST soll durch Luna (ein Governance-Coin), die andere Kryptowährung der Terra Foundation, stabil gehalten werden. Die Stabilität soll durch Arbitrage erreicht werden. Die beiden Coins basieren auf der gleichen Blockchain und sollten beide auf einem Dollar notieren. Der Halter hat jeweils das Recht, jederzeit in die «Schwesterwährung» zu wechseln. Wenn also der Wert des einen Coins unter einen Dollar fällt, kann der Halter in die «Schwesterwährung» wechseln und den Arbitragegewinn einstreichen. Das sollte theoretisch so lange funktionieren, bis ein Gleichgewicht hergestellt ist, beide Coins auf einem Dollar notieren und kein Anreiz mehr zum Tausch besteht.

Wer einen UST vernichtete, schuf gleichzeitig Luna im gleichen Wert. So sollten Wertschwankungen unmittelbar korrigiert werden. Lag beispielsweise der Kurs des Terra über dem angepeilten Niveau von einem Dollar, konnten Anleger Luna in UST tauschen und diese dann zu einem Preis über einem Dollar verkaufen.

Doch in den vergangenen Tagen funktionierte das nicht mehr. Der UST fiel am Mittwoch teilweise auf 30 Cent und hat sich mittlerweile wieder auf 50 Cent erholt. Viel dramatischer ist der Kurszerfall bei der «Verrechnungswährung» Luna. Der Coin, der Anfang April noch auf 120 Dollar notierte, ist derzeit noch wenige Cent wert.

Mit hohem Zins gelockt

Gemäss Heusser war dies ein Zusammenbruch mit Ankündigung. Kompliziert dezentralisierte Systeme müssten den Investoren hohe Anreize bieten. Den Haltern von UST wurde ein Zins von 20 Prozent in Aussicht gestellt, mehr, als das System mit dem zur Verfügung gestellten Geld einnehmen konnte. Dies hat aber relativ lange funktioniert, und der Stablecoin erreichte eine Marktkapitalisierung von 21 Milliarden Dollar. «Doch als der Marktwert des Stablecoins jenen des Governance-Coins markant überschritt, war klar, dass das System aus dem Gleichgewicht war», sagt Heusser. Es gibt auch Gerüchte, dass jemand dieses Missverhältnis für eine Attacke auf das Ökosystem genutzt habe.

Das Terra-Projekt lässt sich gemäss Daniel Diemers vom Beratungsunternehmen SNGLR Group im Bereich Decentralized Finance (DeFi) einordnen. «Und DeFi lebt von Innovation und immer neuen Ideen und Projekten», sagt der Experte. Somit seien alle seriösen, von einer Community getragenen Projekte auch irgendwo sinnvoll. Gefährlich seien diese algorithmischen Stablecoins eher nicht, denn es sei ein exotischer Bereich des Krypto-Universums, wo Neueinsteiger kaum hingelangten. «Es ist klar dokumentiert, dass bis jetzt alle algorithmisch gesicherten Stablecoin-Projekte irgendwann gescheitert sind», so Diemers. Aber das Projekt habe viele DeFi-Investoren mit einer hohen Rendite angezogen.

Weite Kreise gezogen

Die Terra-Schwäche zieht aber weite Kreise. Der Stablecoin ist nicht nur durch den Marktwert des Luna-Coins abgesichert. Es gab noch einen Sicherheitsfonds, der einige Milliarden Dollar schwer war. Dieser wurde vor vier Wochen in Bitcoin gewechselt. Heusser hat dies damals in einer kurzen Notiz als «systemisches Preisrisiko für den Bitcoin» beschrieben.

Mittlerweile hat der Sicherheitsfonds alle 42000 Bitcoin verkauft, was den Bitcoin-Kurs weiter belastete. Der direkte Druck auf das System ist durch den Verkauf weg. «Die Frage ist nun, wie viel Schaden der Vorfall weltweit ausgelöst hat», sagt Heusser. Es gebe etwa einen koreanischen Fonds, der 3 Milliarden in Luna investiert habe. Welche Kreise dieser und andere Ausfälle ziehen, muss sich in den nächsten Wochen zeigen.

In Mitleidenschaft gezogen wurden auch andere bekannte Stablecoins wie Tether, der auf 95 Cent nachgab. Der Emittent, der seine Bücher nicht von offizieller Seite prüfen lässt, stand schon mehrmals im Verdacht, die ausgegebenen Coins nicht zu 100 Prozent zu hinterlegen. Das Kapital soll gerüchteweise auch mit wenig liquiden Geldmarktpapieren, Schuldverschreibungen von chinesischen Immobilienanbietern und mit Bitcoin und Ether gedeckt sein. Nichts anhaben konnte der Sturm dagegen dem Dollar-Coin USDC. Dieser Stablecoin ist transparent und lässt seine Bücher prüfen.

Coinbase-Warnung verunsichert Kunden

In Aufregung versetzte den Markt auch das Vorgehen von Coinbase – einem der grössten globalen Krypto-Handelsplätze. Zusammen mit den enttäuschenden Quartalszahlen veröffentlichte die Krypto-Börse eine neue Anforderung der US-Börsenaufsicht SEC an Unternehmen, die Krypto-Vermögenswerte für Drittparteien halten. So könnten im Konkursfall Vermögenswerte von Privatkunden als Teil des Unternehmens angesehen werden. Diese Anpassungen erachtet Heusser als wenig dramatisch. «Sie erfolgten jedoch zur Unzeit.» Wer die Allgemeinen Geschäftsbedingungen durchlese, habe schon immer festgestellt, dass die Coins von Kunden in solchen Krypto-Börsen nie abgetrennt von den Geschäftsvermögen aufbewahrt wurden und im Konkursfall in die Konkursmasse gefallen wären.

Grundsätzlich stehen gemäss Diemers alle Gelder bei einer Bank oder Börse im Risiko, ausser es besteht eine explizite Staatsgarantie. Im Krypto-Bereich gelte seit dem Mt.-Gox-Börsen-Crash von 2014 die goldene Regel, dass man keine Kryptos auf einer Börse aufbewahren sollte, egal ob diese Börse gross, klein oder börsenkotiert ist. Im Konkursfall stehe man sowieso mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit schlecht da. Die Gläubiger aus dem Mt.-Gox-Crash warten heute noch auf ihr Geld, auch wenn jüngst versprochen wurde, dass wohl einige Milliarden aus der Konkursmasse bald verteilt werden.

Es sei eine Welle der Bereinigung, die über den Sektor ziehe – und nicht die letzte, sagt Heusser. Kleinere, wenig seriöse Währungen werden eingehen und die Investoren ihr Geld verlieren. «An sich ist diese Korrektur im gegenwärtigen Umfeld nicht wirklich spektakulär, Krypto folgt einfach den anderen Märkten und bleibt damit weiterhin eine hoch volatile Vermögensklasse», sagt Diemers. Man dürfe nicht vergessen: Zu Beginn der Covid-Krise im März 2020 sei der Bitcoin-Kurs fast bis auf 4000 Franken gefallen.

Metaversum und NFT brauchen Bitcoin und Co.

«Wer im Kasino Geld verloren hat, kehrt immer wieder zurück», sagt Heusser. Wenn sich Bitcoin und Ethereum erholt hätten, werde auch die Spekulation in verschiedensten Bereichen des Krypto-Segments wieder losgehen. Damit stellt Heusser auch klar, dass sich die grossen Kryptowährungen wieder fangen werden. «Der Markt lässt sich aber nicht timen», fügt Heusser an. Für Investoren, die sich engagieren wollten, würde er empfehlen, den Investitionsbetrag zu vierteln und mit einem Viertel einzusteigen.

Er ist überzeugt, dass sich der Krypto-Sektor nicht, wie von vielen prophezeit, in nichts auflösen werde. «Der Bitcoin hat noch einen Marktwert von rund 535 Milliarden Dollar – das ist doch mehr als null», sagt der Crypto-Finance-CEO. In den vergangenen Monaten verzeichneten Krypto-Dienstleister angeblich eine Zunahme der Anfragen von Finanzinstituten, die ihren Kunden einen Zugang zu Krypto-Engagements anbieten wollten.

Diemers sieht den Krypto-Markt positiv, etwa wenn man den Grad der Institutionalisierung über die letzten vier Jahre anschaue und mit den «verrückten Zeiten» zwischen 2014 und 2018 vergleiche. «Dazu bekommen Themen wie Metaversum und NFT immer mehr Dynamik, und auch diese Trends stützen und fördern Kryptowährungen und die Blockchain-Technologie mittel- und langfristig.» Das Metaversum könne ohne Blockchain-Technologie nicht funktionieren, genauso wie ambitionierte Projekte im Bereich Smart Cities und Smart Mobility. Krypto und Blockchain bleiben somit aktuell und gefragt.

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